Avatar! Know that Britannia has entered into a new age of enlightenment! - wem dieser Satz nicht eine einzige Träne der Rührung in die Augen zwingt, der ist entweder zu jung, kein passionierter Spieler oder aber er hat mit Fantasy-Settings nicht allzu viel am Hut. So oder so hat er was verpasst.

Ultima VII: The Black Gate - vor knapp 15 Jahren kreiert von der längst vom freien Markt zu Grunde gerichteten Spieleschmiede Origin Systems - demonstrierte seinerzeit auf eindrucksvolle Weise, wie man trotz der beschränkten Möglichkeiten damaliger PC-Systeme eine packende Geschichte in einer überzeugenden und vor allem lebendig wirkenden Spielwelt erzählen konnte. Mich jedenfalls hat das Spiel einige Tage (und Nächte) in seinen Bann gezogen - Grund genug, ein bisschen auf der Retro-Welle zu reiten, und dem mittlerweile archaischen Machwerk in Form dieses kleinen Artikels Tribut zu zollen...

Das Problem

Bedauerlicherweise war das Spiel außerordentlich wählerisch in Bezug auf seine Ausführungsumgebung - und es ist es heute noch: Musste damals ein flotter 386er her, damit der Spielgenuss nicht durch dröges Geruckel vergällt wurde, ist dem Spiel auf heute modernen Systemen nur mit virtuellen DOS-Umgebungen und einer Menge Getrickse auf die Sprünge zu helfen. Selbst dann aber eher schlecht als recht: Denn erstens ist die Geschwindigkeit des Spielablaufs unmittelbar an die Rechenleistung der - realen oder emulierten - CPU gebunden (weshalb die Spielfigur auf modernen Systemen innerhalb eines Augenschlags schon mal einen halben Kontinent zu Fuß überquert), und zweitens erweist es sich oft als schwierig, die DOS-Umgebung so einzurichten, dass sowohl die spielinterne Speicherverwaltung als auch die Audio-Ausgabe stabil ihr Werk verrichten. Sei's wie's sei, diese Sorgen gehören nunmehr der Vergangenheit
an.

Die Lösung

Einem engagierten Entwicklerteam ist es zu verdanken, dass mittlerweile eine Neuauflage des Spielkerns, der Engine, existiert - ganz und gar edelmütig als freie Software, die zudem noch auf einer ganzen Menge verschiedener Plattformen läuft (also nicht nur auf Linux, Mac OS X und Windows XP, sondern auf Exoten wie dem Sharp Zaurus): Exult nennt sich das Machwerk, das Nostalgikerherzen höher schlagen läßt.

Hat man erst mal die Originaldateien des Spiels nebst Handbuch und Landkarte akquiriert - wohl dem, der noch die luxuriöse Erstauflage samt Stoffkarte und gedrucktem Beiwerk sein eigen nennt -, darf man sich sogleich als geschichststrächtiger Weltenretter in's Abenteuer stürzen.

Das Spiel

Für alle, die anno dazumals nicht im Genuss standen, sei mal kurz zusammengefasst, worum's eigentlich geht: In Britannia, jener mittelalterlichen Fantasiewelt, die unsere Spielfigur schon des öfteren vom Untergang bewahrt hat (schließlich ist das immerhin schon der 7. Teil der Reihe), herrscht gute Miene zum bösen Spiel: Während sich eine reiche Oberschicht an den Gütern der hungernden Landbevölkerung labt, mehrt eine mysteriöse Sekte ihre Basis durch Verkündung sozialdarwinistischer Lehren. Ausgerechnet einen Tag nachdem im lauschigen Hafenstädtchen Trinsic ein grausiger Ritualmord begangen wurde, betritt unser Held die Bühne - und wird gleich mal eingespannt, der Sache auf den Grund zu gehen. Auf der Suche nach Hinweisen stößt er schon bald auf eine Verschwörung gewaltigen Ausmaßes …

Das wahrhaft Beachtliche bei dem Spiel ist allerdings weniger die an sich eher geradlinige Handlung selbst, sondern vielmehr, wie sie dem Spieler dargebracht wird. Man hat förmlich einen ganzen Kontinent voller lebendiger, autonom agierender Charaktere vor sich, die großteils unbehelligt vom großen Handlungsbogen ihrem Tagwerk nachgehen. Ist man als Computerspieler daran gewöhnt, dass ein Nichtspielercharakter immer am gleichen Fleck förmlich darauf wartet, angesprochen zu werden, wird man von Ultima VII positiv überrascht. Jede einzelne Person hat ihren eigenen Tagesablauf. Da wird frühmorgens aufgestanden, zum Arbeitsplatz getrottet, Mittagspause gemacht und Abends der Verkündung des lokalen Sektenführers beigewohnt - oder aber schnurstracks zur nächstgelegenen Taverne marschiert, um ordentlich einen zu heben. Frische Fackeln kaufen um Mitternacht? Fehlanzeige: Der örtliche Ausstatter hat sich schon vor Stunden in seinem abgelegenen Domizil zur Ruhe gebettet.

Die NPCs haben allerdings nicht nur viel zu tun, sondern auch durchaus einiges zu sagen: Fast jeder Figur brennt etwas auf der Seele - und allesamt verfügen sie über ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis: Eine derartige Menge an stimmungsvollem und zudem für jeden Charakter individuell geschriebenem Dialogtext wie in Ultima VII sieht man in einem Computerspiel auch (oder gerade) dieser Tage selten. Zudem gesellen sich dem Spieler noch bis zu 7 Abenteurer hinzu, die des öfteren mal amüsante Kommentare abgeben oder sich gegenseitig auf den Zahn fühlen.

Nicht zu unterschlagen sind auch die weitreichenden Interaktionsmöglichkeiten mit der simulierten Umgebung. Da kann aus Mehl und Wasser Teig geknetet und aus Teig Brot gebacken werden. Magen leer, doch Köcher voll? Kein Problem: Im nächstgelegenen Wald will der Wildbiss ohnehin eingedämmt werden. Und wem das Tagewerk als Bäcker oder Feldarbeiter zu anstrengend ist, dem liegt vielleicht eher die düstere Karriere eines nachtaktiven Ladendiebs.

Inhaltlich greifen die zahlreichen, jedoch nur selten ineinander verschlungenen Handlungsstränge nicht selten durchaus brisante Themen auf, die auch in unserer realen Welt von großer Bedeutung sind. Von Umweltverschmutzung und Prostitution über Drogenhandel und -konsum bis hin zu sozialen Ungerechtigkeiten und religiösem Fanatismus haben die Entwickler einen weiten Bogen gespannt. Dabei ist es den Machern aus Texas hoch anzurechnen, dass sie dabei stets eine differenzierte Sichtweise und humoristisches Fingerspitzengefühl an den Tag legen, anstatt bierernst und belehrend zu wirken.

All diese Punkte machen die Spielwelt von Ultima VII zu einer wahren Oase für lesefreudige Spieler mit Entdeckergeist. Leider kommt die Sache nicht ohne Haken: Die als antiquiert zu bezeichnende Grafik ist da noch das geringste Übel, denn leider vermag auch das Spieldesign sein Alter nicht zu verbergen: Einen guten Teil der Gesamtspielzeit verbringt man damit, von einem Ort zum nächsten zu pilgern. Und auch wenn man im Handlungsverlauf mit immer bequemeren Fortbewegungsmitteln versorgt wird (vom Pferdewagen über's Schiff bis hin zum fliegenden Teppich und Teleportationsportalen wird hier einiges geboten), sind die zahlreichen Reisen durch die riesige Spielwelt eher anstrengend denn wirklich unterhaltsam. Zudem gestalten sich die gelegentlich auftretenden Zufallsbegegnungen mit feindlich gesinnten Zeitgenossen als überaus lästig, denn das Kampfsystem macht keinen sonderlich ausgegorenen Eindruck: Zwar kann man für jedes Party-Mitglied eine eigene Taktik festlegen, die sodann auch mehr oder weniger konsequent in die Tat umgesetzt wird, das war's aber auch schon weitgehend mit der Interaktion. Besonders ärgerlich ist, dass der Ausgang eines Kampfes recht stark vom Zufall abzuhängen scheint: So entpuppt sich ein sicher geglaubter Triumph schnell als fatales Desaster - zumindest für den, der nicht rechtzeitig zur Speicherfunktion greift. Gut, dass man nur selten über wirklich knackiges Feindesvolk stolpert. Schlecht, dass dieses aber meist auch gemetzelt werden muss, um die Haupthandlung voranzutreiben.

Mir persönlich noch deutlich übler aufgestoßen ist das gegen Ende des Spiels äußerst fies werdende Dungeon-Design. Auch wenn man verhältnismäßig selten gezwungen ist, in eine der zahlreichen Höhlen abzutauchen, haben sich die Entwickler hier mit unsichtbaren (aber für den Spielverlauf essentiellen) Geheimgängen, Teleportationsfeldern, diversen Todesfallen und extrem gut versteckten Schaltern wahrhaft keinen Gefallen getan - zumindest ist man derartige Grausamkeiten in einem solchen Ausmaß von modernen CRPGs nicht mehr gewohnt. Erschwerend kommt hinzu, dass bereits getötete Zufallsgegner (vermutlich um kostbaren Speicher zu sparen) sofort wiederauferstehen, sobald sie vom Bildschirm gescrollt sind - mehrmaliges Auf- und Ablaufen in düsteren Gefilden ist also in Hinblick auf das ohnehin schon angeschlagene Nervenkorsett nicht unbedingt anzuraten. Geradezu unproblematisch erscheint dagegen, dass dem Spieler das Erlernen einer im Handbuch fein säuberlich transskribierten Runenschrift, sowie ein gutes Gedächtnis (alternativ die intensive Nutzung von Stift und Papier) abverlangt wird, um Übersicht über all die Haupt- und Nebenaufgaben zu bewahren, mit denen der Heldentrupp im Laufe seiner Karriere überschüttet wird.

Wen das alles nicht abschreckt oder wer einfach mal einen Blick in die Vergangenheit des Computer-Rollenspiels wagen möchte, den erwartet dennoch eine sorgsam ausgearbeitete und in ihrer detailverliebtheit ihresgleichen suchende Fantasy-Welt, die für mehrere Wochen vor dem Bildschirm zu fesseln vermag.